Die Zwei-Familien-Chance
In Rostock wurden wir, das „Das Kind im Blick“ Pflege-Familien-Zentrum des Caritasverbandes für das Erzbistum Hamburg e.V., damit beauftragt, Pflegefamilien zu finden, die den besonderen Herausforderungen einer Pflegschaft gewachsen sind. Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir Pflegefamilien bei der Erfüllung ihrer Aufgaben hilfreich unterstützen können. Dazu bieten wir Informationsveranstaltungen, Vorbereitungskurse und Fortbildungen an.
Für die meisten Pflegeeltern ist es ein langer Weg bis zu der mutigen Entscheidung, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen und damit vorübergehend oder auf Dauer Eltern zu unterstützen, die aus verschiedenen Gründen nicht mit ihren Kindern leben können. Es ist uns wichtig, zukünftige Pflegefamilien möglichst allumfassend zu informieren und vorzubereiten, damit sie für sich eine bewusste Entscheidung treffen können.
Die Pflegekinderhilfe braucht viele Partner. Es reicht nicht aus, Kinder in Pflegefamilien zu vermitteln und davon auszugehen, dass sich nun alles von allein entwickelt. Im Zusammenleben mit einem Pflegekind findet auf allen Ebenen Erweiterung statt. Nicht nur das Pflegekind entwickelt sich weiter, sondern auch die Pflegeeltern, Eltern, Fachkräfte, Erzieher und Lehrer. Diese Seiten sollen einen Beitrag dazu leisten, Hintergründe vermitteln und Fragen beantworten.
Warum können Kinder manchmal nicht bei ihren Eltern leben?
Dass Kinder vorübergehend oder auf Dauer nicht bei ihren Eltern leben, kann verschiedene Ursachen haben. In der Regel erhalten die Eltern Hilfe aus der eigenen Verwandtschaft oder durch Freunde, Nachbarn oder öffentliche Institutionen. Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt in unserer Gesellschaft Familien, die selbst keine hilfreichen Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Situationen gemacht haben. Wenn diese dann in Krisen geraten, ist es meist eine Kombination aus mehreren Belastungen, die die Eltern überfordern: in persönlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Art, wie Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen oder Suchtproblemen. Dabei kann es passieren, dass sie ihre Kinder nicht gut im Blick behalten. Sie sind dann so sehr mit den eigenen Ängsten und Unsicherheiten beschäftigt, dass es ihnen nicht gelingt, die Not ihrer Kinder zu erkennen. Sie können keinen Schutz, keine Sicherheit und keine Geborgenheit vermitteln. Für die Kinder, aber auch für die Eltern bedeutet das großes Leid und seelischen Schmerz. Die gesunde Entwicklung der Kinder ist gefährdet. In solch schwierigen Lebenssituationen haben Eltern das Recht, sich an Erziehungsberatungsstellen oder das Amt für Jugend, Soziales und Asyl zu wenden.
Nur in absoluten Notfällen, wenn zum Beispiel deutliche Zeichen von Missbrauch oder Vernachlässigung wahrgenommen werden, wird das Kind sofort aus der Familie genommen. Meist wird es dann in einer Bereitschaftspflegefamilie oder im Kinder- und Jugendnotdienst untergebracht, bis Beruhigung eingetreten und geklärt ist, wie es weitergehen kann.
Gemeinsam mit dem Amt für Jugend, Soziales und Asyl überlegen die Eltern, welche Hilfen geeignet sind, um mit den akuten Lebensumständen zurechtzukommen. Dabei stehen die Kinder und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt. Wenn ambulante Hilfen nicht ausreichen, kann es eine Chance sein, die Kinder vorübergehend oder für eine längere Zeit an einem neuen, sicheren Lebensort unterzubringen. Vor allem für sehr kleine Kinder ist die Unterbringung bei Pflegefamilien wünschenswert.
Maja und Karl (2) sind Zwillinge und leben bis kurz nach ihrem ersten Geburtstag bei ihren Eltern. Die Mutter (21) beendet ihre Schule nicht, lebt seit ihrem 12. Lebensjahr selbst in verschiedenen Wohngruppen und hat keinen Kontakt zu ihrer Familie. Ihr fällt es schwer, Anträge zum Lebensunterhalt zu stellen, ihren eigenen Alltag trotz Hilfe zu strukturieren. Sie ist schnell gereizt, wenn die Kinder schreien. In ihrer Hilflosigkeit überlässt sie die Kinder sich selbst. Sie sucht Entspannung und Unterhaltung bei Freunden, ist abends kaum zuhause. Sie flieht vor ihren Aufgaben als Mutter und erkennt nicht, wie sehr ihre Kinder sie brauchen. Verschiedene Freunde passen immer mal wieder auf die Kinder auf. Der Vater (19) der Kinder lebt in seiner eigenen Welt. Computerspiele, nächtelanges Chatten und virtuelle Freunde bestimmen seinen Lebensrhythmus. Die Familienhelferin stellt fest, dass die Eltern ihre Kinder mit dieser Art der Lebensbewältigung in Gefahr bringen. Die Eltern, die Familienhelferin und das Amt für Jugend, Soziales und Asyl suchen nach geeigneten Hilfen. Sie entscheiden, dass für die Kinder eine Pflegefamilie gesucht werden soll.
Wie geht es den Kindern mit zwei Familien?
Alle Kinder verbindet der tiefe Wunsch, Kinder „guter“ Eltern zu sein. Es scheint, dass das ein zutiefst menschliches Empfinden ist, was bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt. Die Einsicht und die Anerkennung dieses Prinzips hat für das Wirken von Pflegefamilien eine große Bedeutung. Wenn Pflegeeltern den leiblichen Eltern einen emotionalen Platz in ihrer Familie zur Verfügung stellen, wird es den Kindern eher möglich sein, sich auf den neuen Lebensort einzulassen. Auch den Eltern kann es besser gelingen, ihre Kinder der Pflegefamilie anzuvertrauen, wenn sie sich geachtet und respektiert fühlen. Was jedoch nicht bedeutet, das Leid in der Vergangenheit gutzuheißen. Aber vielleicht lässt sich Wut auch in Trauer um Begrenzungen, die Eltern haben, umwandeln. Kinder in Pflegefamilien werden dann Selbstsicherheit und Zufriedenheit erlangen, wenn sie sich aktiv mit ihrer Geschichte und ihren ambivalenten Gefühlen auseinandersetzen können. Dafür brauchen sie Eltern und Pflegeeltern, die ihnen authentisch begegnen, die ihnen Antworten geben und Zeit, sich und ihre Umwelt zu verstehen. Das klingt nach keiner leichten Aufgabe. Und gerade weil es so kompliziert ist, haben alle Beteiligten Anspruch auf Hilfe durch professionelle Dienste, die diese Prozesse begleiten und unterstützen.
Mark (9) hat viele Talente. Er spielt zum Beispiel gern Klavier und möchte nun auch Gitarre spielen lernen. Bis zum siebten Lebensjahr lebte er mit seiner alkoholkranken Mutter gemeinsam in einer kleinen Wohnung. Leider nahm seine Mutter keine Hilfe von außen an. Mark war sehr bemüht, die schlimmen Momente geheim zu halten. Das hat irgendwann nicht mehr ausgereicht, weil seine Mutter ins Krankenhaus musste und das Ausmaß ihrer Erkrankung deutlich wurde. Für Mark wurde eine aufgeschlossene und humorvolle Pflegefamilie gefunden. Gemeinsam mit den Pflegeeltern besucht Mark seine Mutter regelmäßig in der Klinik. Manchmal richtet es die Pflegefamilie auch ein und lädt die Mutter zum Kaffee in Marks neuem Zuhause ein. Mark muss sich nicht entscheiden, ob er die Pflegeeltern oder seine Mutter lieber mag. Niemand erwartet das von ihm und er begreift sich zunehmend mehr als Kind zweier Familien.
Eng verknüpft mit der Frage, ob es das Kind in der Pflegefamilie schafft, eine Balance zwischen beiden Familiensystemen herzustellen, ist auch die Frage der Perspektive. Wird das Kind zu den leiblichen Eltern zurückkehren oder bleibt es langfristig bei der Pflegefamilie? Wird diese Frage nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes beantwortet, kann ein Schwebezustand für das Kind entstehen, der wiederum Unsicherheiten und Ambivalenzen verstärkt.
Sie wollen zunächst einmal mehr wissen? Sie werden sich auch bereits die Frage gestellt haben: Was sind das eigentlich für Kinder? … Weiter >>